Eigentlich ist er ja schon wieder vorbei, der Equal Pay Day 2013. Bis zum letzten Donnerstag, dem 21. März, musste eine Frau in Deutschland seit dem 01. Januar 2012 arbeiten, um im Durchschnitt so viel zu verdienen, wie ein Mann allein im Jahr 2012. Das Statistischem Bundesamt hat es gerade noch einmal bestätigt:
Während Männer 19,60 Euro brutto pro Stunde bekamen, waren es für Frauen nur 15,21. Und zwar dauernd. Nicht nur am Equal Pay Day, wenn einmal im Jahr verstärkt darüber geredet wird. Wie wenig die Gleichstellung der Geschlechter in unserem Land umgesetzt ist, macht mich regelmäßig fassungslos. Dabei kann man kaum überschätzen, wie wichtig echte Gleichberechtigung für das Glück unserer Gesellschaft wäre.
Das gilt gerade aus demografischer Perspektive: Viele Forscher sind inzwischen überzeugt, dass die anhaltende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern eine Hauptursache dafür ist, dass viele Paare ihre Kinderwünsche nicht umsetzen. Und dass sie mit Kindern, wenn sie welche kriegen, nicht so leben können, wie sie gerne wollten.
Die Frage, mit der sie sich konfrontiert sehen, heißt leider zu oft: Geld verdienen oder ein Leben mit Kind? Es ist die große Aufgabe unserer Zeit, aus dem oder ein und zu machen. Das Thema ist so weit wie das Problem groß ist. Der Verdienstunterschied von Frauen und Männern („Gender Pay Gap“, kurz GPG) ist darin ein Indikator, der durchaus in Richtung Lösung weisen kann – wenn man ihn richtig versteht.
Was bedeutet er eigentlich? Zunächst einmal: Wie ungewöhnlich ist ein GPG von 22 Prozent im Vergleich zu anderen Ländern?

EU-27-Länder, keine Werte für Griechenland und Irland im Jahr 2011.
Die Antwort ist ernüchternd: Innerhalb der Europäischen Union sind wir die Drittschlechtesten. Mehr schämen müssen sich in der EU 27 nur Österreicher und Esten. Mit einem Abstand von sechs Prozentpunkten zum EU-Mittel kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Deutschland in der Gleichberechtigung rückständig ist.
Werden wir wenigstens im Zeitvergleich besser? (Graue Zeilen mit „unbereinigt“ in der Tabelle vergleichen.)
GPG: Mehr Gleichberechtigung nicht in Sicht
Deutschland | West | Ost | ||
2006 | unbereinigt | 23 | 24 | 6 |
2006 | bereinigt | 8 | 8 | 12 |
2010 | unbereinigt | 22 | 24 | 7 |
2010 | bereinigt | 7 | 7 | 9 |
2012 | unbereinigt | 22 | 24 | 8 |
Fehlanzeige. Das Minus von einem Prozentpunkt für Gesamtdeutschland (seit 2006) verschwindet, wenn man sich den zahlenmäßig dominanten Westen anschaut: Dort verharrt der GPG bei 24 Prozent, zumindest seit sechs Jahren. Vor 2006 hat das Statistische Bundesamt den GPG nicht erfasst. Dann aber gleich gründlich, denn das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wollte plötzlich eine Studie, die für Deutschland endlich einmal offiziell feststellt, was die Ursachen der Gehaltsunterschiede sind.
Was steckt hinter der Ungleichheit?
Das lässt sich berechnen – zum größten Teil zumindest: Fünf Prozentpunkte des GPG von 2006 erklären sich etwa dadurch, dass Frauen schlichtweg weniger Führungsverantwortung haben als Männer oder in Berufen arbeiten, für die eine niedrigere Qualifikation ausreicht. Überhaupt haben Frauen Jobs in Branchen, in denen die Gehälter einfach niedriger sind (das erklärt vier Prozentpunkte). Zusammen mit ein paar weiteren Ursachen lässt sich so das Gros des Verdienstunterschiedes herleiten.
Es ist notwendig, diese Ursachen zu kennen. Aber den GPG so zu zerlegen, ist auch heikel.
Denn es erweckt den Eindruck, als wären die Unterschiede gar nicht so ungerecht. Schließlich ist ja alles erklärbar: Könnten die Frauen sich häufiger zu mehr Führungsverantwortung durchringen, würden sie mehr verdienen. Wollen sie ja aber offenbar nicht. Und wenn nicht so viele als einfache Verkäuferinnen oder Putzfrauen arbeiten würden, sondern in „anständigen“ Jobs, dann würde das Einkommen ebenfalls steigen. Nach dieser Logik wären die Frauen selbst Schuld.
Dazu passt, dass bei der GPG-Analyse ein Teil übrig bleibt, der nicht erklärbar ist. 2006 waren das acht von den damals 23 Prozentpunkten (für 2012 wurde er nicht bestimmt). Dieser Anteil heißt „bereinigter“ GPG (siehe auch Tabelle oben). Nach der gängigen Interpretation bekommt eine Frau ein um diese acht Prozent geringeres Gehalt, wenn sie einen Job unter völlig gleichen Bedingungen antritt wie ein Mann. Das wäre dann die verbleibende echte oder „direkte Diskriminierung“. Für den Rest gibt es vermeintlich gute Gründe.
Ungerechigkeit lässt sich nicht wegerklären
Das ist doppelt falsch Gedacht: Zum einen bleibt der „bereinigte“ Teil des GPG zwar unerklärt. Das heißt aber nicht, dass es dafür keine Gründe gibt, wie zum Beispiel das Auftreten von Frauen und Männern in Gehaltsverhandlungen. Das Bundesamt konnte diese Gründe nur nicht quantifizieren.
Viel wichtiger aber ist: Indem die Gründe zahlenmäßig dingfest gemacht werden, wird verschleiert, dass auch diese Gründe selbst ungerecht sind: Dass Frauen wenig Führungsverantwortung tragen, liegt oft nicht daran, dass sie sie nicht wollen. Sondern daran, dass sie ihnen keiner (ihrer männlichen Vorgesetzten) überlässt oder zutraut. Und Frauen arbeiten sicher nicht in Jobs mit niedrigerem Bildungsanspruch, weil sie schlechter ausgebildet oder dümmer wären als Männer. Sie haben oft einfach keine andere Chance.
Der Autorin der GPG-Studie am Statistischen Bundesamt ist das ebenfalls bewusst. Sie schreibt:
Für eine Betrachtung des unbereinigten Gender Pay Gap spricht (), dass dieser beispielsweise auch den Teil des Verdienstunterschieds erfasst, der auf unterschiedliche Zugangschancen beider Geschlechtergruppen auf bestimmte Tätigkeitsfelder oder Positionen zurückzuführen ist, die möglicherweise ebenfalls das Ergebnis benachteiligender Strukturen sind.
Kurz: Es ist das System, das ungerecht ist.
Wir müssen die strukturellen Ungerechtigkeiten hinter den GPG-Erklärungen angehen: Warum trauen Chefs Frauen so selten zu, selbst Chefin zu sein? Warum denken viele Frauen über eine Führungsposition nicht ernsthaft nach? Warum wählen Frauen einfache Jobs mit geringer Verantwortung, obwohl sie viel mehr drauf haben?
Genau hier kommt die Demografie ins Spiel: Weil es in Deutschland so unglaublich schwer ist, sich ernsthaft für den Job zu engagieren und gleichzeitig Mutter zu sein. Natürlich gibt es auch andere Gleichstellungsprobeme. Aber die Zahlen zeigen recht eindeutig, wie einschneidend ein Kind für den Verdienstnachteil der Frauen ist:

Bis zum Alter von etwa 30 Jahren bekommen Männer gar nicht so viel mehr Geld als Frauen. Erst dann klafft die Schere auseinander – und bleibt für den Rest des Lebens offen. Damit steigen die Unterschiede genau in dem Alter rapide an, indem Frauen ihr erstes Kind bekommen. Das betrifft die große Mehrheit, trotz allem Gerede von einer hohen Kinderlosigkeit. Rund 80 Prozent der Frauen gründen eine Familie. Das ist der Normalfall.
Es ist kein Wunder, dass ein Kind für die Mütter oft zum Karrierebremse wird. Mit der Geburt setzen die meisten erstmal für längere Zeit ganz aus:

Fast die Hälfte (49 Prozent) der Mütter arbeitete im Jahr 2011 überhaupt nicht, bis das jüngste Kind mindestens drei Jahre alt war. Von den Väter arbeiteten aber gut 90 Prozent. Männer können also an ihrer Karriere (und einem höheren Gehalt) arbeiten, während die Frauen beruflich zurückstecken.
Gegenüber Männern ohne Kind steigt die Arbeitsquote der Väter sogar noch an:

Es ist hierzulande nach wie vor ziemlich klar, wer sich um die Kinder zu kümmern hat und wer sich im Job verausgabt, um die Familie durchzubringen. Das klassische Modell des „Male breadwinner“ blüht und gedeiht. Die deutsche Bezeichnung des „Alleinernährers“ trifft es aber nicht mehr ganz: Wenn die Kinder älter werden, suchen sich die Mütter nach und nach wieder Jobs. So viel Geld wie die Väter verdienen sie damit allerdings nicht, denn die meisten arbeiten Teilzeit:

Insgesamt haben gut 69 Prozent der erwerbstätigen Mütter Teilzeitjobs (Quelle). Als Reaktion darauf fordern manche, wie auch Familienministerin Schröder, so viele Mütter wie möglich in Vollzeit zu bringen. Die Idee ist richtig, wenn Frauen und Männer das auch wirklich wollen. Arbeiten Frauen zum Beispiel tatsächlich nur deswegen Teilzeit, weil sie keine angemessene Kita für ihre Kinder finden, dann muss schleunigst vernünftig ausgebaute Kinderbetreuung her.
Ansonsten ist die Vollzeitidee zu kurz gedacht (und oft mehr durch Sorge um die Arbeitskraft in einer schrumpfenden Bevölkerung motiviert als durch einen Sinn für die Gleichstellung der Geschlechter). Vollzeit gilt zwar als Norm des beruflichen Erfolgs und ergo Glücks. Aber sind es nicht eigentlich Mütter ebenso wie Väter, die arbeiten und Zeit für die Kinder haben wollen, gerade wenn sie jung sind?
Spräche das nicht für mehr Teilzeit für alle? Als Mann traut man sich heute kaum, diesen Wunsch auszusprechen. Aber viele würden sich freuen, wenn sie Lust und Last sowohl der Arbeit als auch der Kindererziehung fair teilen könnten. Und zwar nicht unter dem Stress eines Vollzeitjobs. Das gäbe auch den Paarbeziehungen eine ganz neue Qualität. Beide Geschlechter wären plötzlich in den wichtigsten Lebensbereichen auf Augenhöhe. Genau das wäre Gleichberechtigung.
Gerechtigkeit jenseits der Vollzeitnorm
Der unbereinigte Gender Pay Gap ist ein ganz vorzügliche Messlatte dafür, wie weit der Weg noch ist, bis sich die Wirtschaft auf die gleichberechtigten Arbeitswünsche von Frauen und Männern eingestellt hat. Wäre das Arbeitsleben nämlich gerecht, würde es keine Rolle spielen, ob jemand Voll- oder Teilzeit arbeitet. Sie oder er würde in beiden Fällen einen anspruchsvollen Job mit Verantwortung und denselben Karrierechancen haben können und brutto pro Stunde letztlich dasselbe verdienen. Das würde es auch für Männer attraktiver machen, zumindest zeitweise ihre Stundenzahl herunterzufahren.
Doch so weit ist die Arbeitswelt noch nicht, der große GPG zeigt es an. Die Personalverantwortlichen in den Unternehmen sind heute noch fest davon überzeugt, dass gerade die hochwertigen Arbeiten nur in (männlicher) Vollzeit erledigt werden können. Dabei ist das nur eine Frage der Organisation (weil eine Standardarbeitszeit von acht Stunden pro Tag genauso willkürlich ist wie eine von sechs oder vier). Aber die Wirtschaft ist träge, die Männer in den Führungsetagen haben Angst vor Veränderung. Zum Glück wird es immer mehr Frauen geben, die ihnen beim Umdenken auf die Sprünge helfen.
Mehr Gerechtigkeit ist möglich. Sogar im eigenen Land, wie ein Blick in die neuen Bundesländer zeigt:

Sicherlich profitiert der Osten von einem System der Kinderbetreuung, das ungleich viel besser ausgebaut ist als im Westen. So kommt es oft erst gar nicht zum Berufs- und Karriereknick, der einen niedrigeren Stundenlohn nach sich zieht. Aber eventuell wäre es ja lohnend, einmal nicht auf den Osten herabzublicken, sondern nachzuforschen, was man dort in Sachen Gleichstellung noch so alles richtig macht?
Womöglich lernen wir etwas darüber, wie sich unsere Kinderwünsche besser erfüllen lassen. Denn auch wenn die in den Medien zitierten aktuellen Geburtenraten für die neuen Bundesländern etwas anderes suggerieren: Seit Jahrzehnten hat im Osten jeder Frauenjahrgang mehr Kinder pro Frau bekommen als im Westen . Geld oder Leben? Das Ziel ist: beides!
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So sehr ich den Blog schätze, aber die Erklärungen zum gap sind doch etwas vage. Lt. der einen Grafik beginnen sich die Einkommen bereits mit 25 Jahren auseinander zu entwickeln. Bis dahin haben doch faktisch nur die ein Einkommen, die eine Lehre absolviert haben. Mit 25 und später treten dann die Studierten ins Erwerbsleben ein und da spricht viel dafür, daß der gap durch unterschiedliche Berufswahl zustande kommt. Auf der einen gutbezahlte MINT-Absolventen, auf der anderen Seite Heerscharen an Geisteswissenschaftlerinnen, die sich von einer prekären Stelle zur nächsten schleppen, im akademischen Milieu gerne auch mit Teilzeitbezahlung bei vollem Arbeitszeitausgleich…
Vielen Dank für die Informationen, die Sie in Ihrem Blog aufbereiten. Vieles ist sehr interessant; aber in diesem Beitrag erscheinen mir die Wertungen in Bezug auf „Gerechtigkeit“ bei der Analyse geschlechterbezogener Erwerbstätigkeit doch etwas enggeführt — sehr aus einer bestimmten normativen Perspektive. Die kritisiere ich noch nicht einmal; aber Sie sollten andere potentielle Erklärungsfaktoren auch erwähnen, um ein vollständigeres Bild zu ermöglichen. Dazu gehört etwa die Wirtschaftsstruktur, die in der Bundesrepublik vergleichsweise stark (immer noch) industriell geprägt ist. Das kann sowohl im internationalen wie im innerdeutschen Vergleich viel Unterschied erklären, da v.a. Männer im industriellen Bereich arbeiten (und Ostdeutschland weitgehend de-industrialisiert ist).
Zudem würde mich interessieren, wie Sie die völlig andere Perspektive auf dasselbe Ausgangsfaktum durch mehrere profilierte Statistikexperten (die sie zur „Unstatistik des Monats“ gekürt haben, vgl. http://www.rwi-essen.de/forschung-und-beratung/fdz-ruhr/unstatistik-des-monats/archiv/#headline_1007) einschätzen? Interessant nicht zuletzt, weil an letzterem ein Mitglied eines „anderen“ MPI beteiligt ist…
Beste Grüße! (Und vielen Dank für die Bereitstellung der Zensus-Daten pro Gemeinde)
Andreas Busch
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