
Axel Börsch-Supan rechnet vor, warum die alternde Gesellschaft ökonomisch nicht zusammenbrechen muss.
Seine Propellermaschine, sagt Axel Börsch- Supan, fliege noch am Nachmittag. Dann muss er am Berliner Flughafen Tegel sein, die Zeit für ein Gespräch ist knapp. Eben hat der Volkswirt seine Kollegen im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums BMWi) mit ihren Sorgen wegen der Finanzkrise alleingelassen, damit die Zeit für ein Interview reicht – und für einen schnellen Lunch in der Brauerei gegenüber dem Charlottenburger Schloss. Zwölfstundentag hin oder her: Essen muss auch er.
Der Mensch…
Axel Börsch-Supan (54) studierte in München Volkswirtschaftslehre und Mathematik. Heute ist er Direktor des Mannheimer Forschungsinstituts für Ökonomie und Demographischen Wandel an der Universität Mannheim. Er lebt in Neustadt an der Weinstraße, ist verheiratet und hat drei Kinder.
… und seine Idee
Man kann die Sozialsysteme nach der Ansicht von Börsch-Supan so umgestalten, dass sie sich automatisch der Bevölkerungsstruktur anpassen. Er entwickelt deshalb volkswirtschaftliche Formeln für Rentenleistung und Rentenalter, die dafür sorgen, dass das System sich selbst stabilisiert.
Der Mann ist ein Energiebündel. Obwohl körperlich nicht besonders groß, ist er unübersehbar. Gefragt ist Börsch-Supans Expertise nicht nur im BMWi. Er hat auch die Ministerien für Familie und Bauwesen beraten, außerdem McKinsey, die OECD und die Weltbank. Bis vor ein paar Wochen wurde er noch als Nachfolger von Bert Rürup als Vorsitzender der »Wirtschaftsweisen« gehandelt – daraus wurde nichts, weil er seine eigene wissenschaftliche Arbeit am Mannheimer Forschungsinstitut für Ökonomie und demographischen Wandel nicht dafür aufgeben wollte.
Börsch-Supans Erfolg gründet sich auf Mut mit einem Schuss Dickköpfigkeit. Er hat sich mit dem Einfluss der alternden Bevölkerung auf die Sozialsysteme schon beschäftigt, als das noch ein ökonomisches Nischenthema war. »Die haben mich ausgelacht«, sagt der Ökonom heute über die Reaktion seiner Kollegen. Doch er blieb dran – und irgendwann dämmerte auch den Deutschen, wie wichtig das Thema ist.
Als die jüngste Demografiedebatte eine Welle der Angst durch die Medien spülte und der Zusammenbruch des Renten- und Gesundheitssystems an die Wand gemalt wurde, war Börsch-Supan zur Stelle. Allerdings nicht mit Untergangsszenarien. Auch heute noch »predige« er immer wieder: »Man kann sich dem demografischen Wandel geschickt anpassen. Man muss es nur tun.«
Während auf dem Teller vor ihm die Wurst kalt wird, redet sich der Ökonom in Fahrt. Seine Idee: intelligente Sozialsysteme auf Basis wissenschaftlicher Formeln, die sich automatisch der Bevölkerungsstruktur anpassen – und nicht den je nach Koalitionsarithmetik wechselnden politischen Meinungen. Für die Rente ist Börsch-Supans Konzept schon teilweise umgesetzt: durch den »Nachhaltigkeitsfaktor « in der geltenden Rentenformel, den er mit entwickelt hat. Doch das reicht ihm noch nicht, er hätte am liebsten auch eine solche Formel für das Pensionsalter. Die Mathematik sagt ihm: Wenn der Anteil der Arbeitsjahre an der Lebenszeit gleich bliebe, würde das Rentensystem nicht zusammenbrechen.
Wie schwer das durchsetzbar ist, hat die Debatte um die Rente mit 67 gezeigt. In der Dis kussion, sagt Börsch-Supan, werde den Menschen immer suggeriert, dass die Anhebung des Rentenalters ihnen zwei Jahre Lebenszeit wegnehme. Dabei würden sie im Jahr 2029 – so lange dauert es, bis die Rente mit 67 wirksam ist – mindestens drei Jahre länger leben als heute. Unterm Strich bliebe also ein Gewinn von einem Jahr Ruhestand.
»Die Achillesferse der Demokratie«, schrieb Börsch-Supan einmal, »ist der Zwang, nur oberflächlich richtigen, im schwer vermittelbaren Kern aber falschen Argumenten nachzugeben, um eine Wahl nicht zu verlieren.« Das stammt aus einem Artikel über Mindestlöhne, auch da wird nach Börsch-Supans Auffassung viel zu populistisch diskutiert. Die Wissenschaft, die aufs Detail schaue, könne da viel differenziertere Antworten geben.
Für das Thema Altern heißt das: genauer hinschauen, die tatsächlichen Lebensumstände älterer Menschen untersuchen und sie nicht, wie in den Modellen der Volkswirtschaftslehre, alle über einen Kamm scheren. »Es gibt da weder Männer noch Frauen, weder Alt noch Jung, weder gesund noch krank«, kritisiert der Volkswirt. Eine Realitätsferne, die zu fatalen »Denkfallen« führen kann – es ist eben ein Unterschied, ob man sich den älteren Menschen als hinfälligen Greis oder als lebenslustigen Pensionär vorstellt. Auch deshalb hat sein Institut den deutschen Part der internationalen SHARE-Studie übernommen, in der 30 000 Menschen aus 15 europäischen Ländern detailliert Auskunft über ihre Lebensläufe geben.
Die Ergebnisse werden auch Auswirkungen auf die Diskussion um die Pflegeversicherung haben. Den Glauben, dass allein die höhere Zahl der Rentner die Versicherungsausgaben in astronomische Höhen schnellen lasse, hält Börsch-Supan für einen Fehlschluss. Denn gleichzeitig schrumpfe die Phase des Siechtums, von den Alternsforschern das »vierte Lebensalter« genannt. Um diesen Trend zu berücksichtigen, brauche man leistungsfähige mathematische Modelle statt vorschneller Urteile.
Die Mathematik war zu Studienzeiten seine Fluchtburg vor der Volkswirtschaftslehre, die für ihn so wenig über das reale Leben wusste. Erst nach der Mathe-Promotion am MIT in den USA wandte er sich wieder der Ökonomie zu. Seitdem versucht er, die Volkswirtschaftslehre so politiknah wie möglich zu gestalten, auch in seinen eigenen Vorlesungen.
Die Begeisterung für Mathematik ist ihm geblieben. Zu Hause im pfälzischen Neustadt, wo der 54-Jährige bei Spaziergängen durch die Weinberge zur Ruhe kommt, hat er seinem Faible für mathematische Einfachheit eine Form gegeben: Nach dem Vorbild des kinetischen Skulpturenkünstlers Alexander Calder baute er simple geometrische Formen zu unzähligen Mobiles zusammen. Es ist die Mischung aus organischer Dynamik und reduzierten physikalischen Gesetzen, die ihn fasziniert.
Zum Basteln wird er indes wohl immer weniger kommen. Gerade berief ihn die angesehene US-amerikanische MacArthur-Stiftung ins neu gegründete Research Network on an Aging Society. Dort soll unter anderem die Frage verhandelt werden, die Börsch-Supan umtreibt, nämlich wie man verhindern könne, »dass die Gesellschaft in einen Kampf der Generationen abgleitet«.
Ein großes Thema – zu groß für eine Mittagspause. Seine Bratkartoffeln hat Börsch-Supan nicht geschafft. Macht nichts. Was er zu sagen hat, ist ihm wichtiger.
2 Kommentare… einen eigenen schreiben!
Ein toller Artikel, der wieder angesichts der neuen Unzufriedenheitswellen aktuell wird. Es bleibt spannend, wie die Alterung, die Rente und das System einhergehen und wie sie in Zukunft miteinander verzahnen werden. Ich möchte wie Börsch-Supan positiv in die Zukunft schauen, dass das System nicht zusammenbrechen wird.
Grüße, Martina.
Liebe Martina,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich sehe es wie Sie und bin optimistisch. Dass unsere Systeme zusammenbrechen, halte ich für ausgeschlossen. Denn Systeme sind, wenn sich die Demografie ändert, ebenfalls veränderbar, und zwar zum Guten.
So sieht es auch Axel Börsch-Supan. Falls seine Gedanken und Lösungsansätze Sie genauer interessieren, kann ich einen gut verständlichen Text empfehlen, den er darüber im März 2011 für das Magazin APuZ der Bundeszentrale für politische Bildung geschrieben hat: Ökonomische Auswirkungen des demografischen Wandels (ab S. 19 im PDF).
Viele Grüße
Björn Schwentker